„Nach der Krise wird im Kultursektor nichts mehr sein, wie es vorher war“, sagt mir mein Vater am Telefon, der als selbstständiger Gitarrist wirtschaftlich akut von den Auswirkungen und Maßnahmen gegen das global grassierende Coronavirus und dessen Verbreitung betroffen ist. Er klingt nicht unglücklich. Er ist nicht in Panik. Die Steuer ist ausgesetzt, die Vorsteuer ist zurückverlangt. Das System ist labil, es wird von Monat zu Monat, manchmal auch von Woche zu Woche kalkuliert, immer mit angehaltenem Atem, immer ging es schon irgendwie. Hier ein Kredit, hier was abbezahlt, hier einen Deal gemacht, hier ein Konzert gespielt, hier etwas für Kolleg*innen ermöglicht, den Kindern das Studium finanziert; Instrumente kaufen, verkaufen, am Ball bleiben, Inventur machen, telefonieren, die Bank vertrösten, ja, nächste Woche, aber dann wirklich, nein, das ist klar, da kommt ein neuer Auftrag rein – es ging eben immer irgendwie.
Mein Vater hat keine Altersvorsorge, arbeitet mit 70 noch genauso wie mit 50. Das hat seine Vorteile, sage ich immer. Er hat ein iPhone, schickt Mails, ist unterwegs, besucht mich. Das hat auch Nachteile, das weiß ich. Nie ist etwas sicher, immer steht etwas mindestens zu einem Fünftel oder Viertel auf der Kippe. Aber daran gewöhnt man sich.
Ein immerzu wankendes Kartenhaus
So wie mein Vater müssen etliche Kulturschaffende haushalten. Eine verpatzte Veranstaltung, eine nicht zündende Werbung, eine Flaute; all sowas bringt schon viel Wind um solch ein instabiles Kartenhaus, das auf Selbstausbeutung, Ambivalenz und Selbstständigkeit aufgebaut ist. Jetzt das komplette Erliegen, eine nie dagewesene Leere. Gute und sichere Bezahlung, die gibt es im IT-Bereich, im Marketing, in der Unternehmensberatung, bei Banken, bei Aktienfirmen vielleicht auch, überall da, wo man „CEO“ werden kann. Theoretisch.
In kleinen Kulturstätten, als Soloselbständige*r oder mit drei, vier Mitarbeitenden, in Clubs, im Theater, bei freien Kulturstätten… da gibt’s kein sicheres Einkommen, wenn, dann selten. Da gibt es auf Rechnung arbeiten, da gibt es kaum Angestelltentum. Da gibt es keine Ausfallversicherung, kaum Krankengeld. Dafür Freiheit, ja, die gibt es.
Unser gesamtes Umfeld ist gerade vollkommen verunsichert. Miete, Einkommen, Dispo, wer ist zuständig? Wie bekomme ich KfW-Kredite? Sind Kredite überhaupt eine Lösung, für mich, für uns, für ihn?
Bekenntnis und Angst
Ein so klares Bekenntnis zur Kulturbranche und zu Selbstständigen von Politiker*innen hätte ich in dieser Krise ehrlicherweise nicht erwartet. Wie es schon richtig ausgedrückt wurde (thanks Frau Grütters, Beauftragte für Kultur und Medien): Innerhalb weniger Tage hat sich schmerzlich gezeigt, wie sehr wir Kulturveranstaltungen vermissen, wenn sie plötzlich fehlen. We. Miss. You. Das gibt Hoffnung. Es macht trotzdem Angst, das alles.
Was sich auch zeigt, überdeutlich, ist, wer im Krisenmodus dringend gebraucht wird. Das sind die Leute im Gesundheitswesen, die Angst haben, sich zu infizieren. Die zur Arbeit gehen, im Bewusstsein, überfordert zu werden, zu viel leisten zu müssen, weil sonst das System kollabiert. Und das nicht erst seit der Corona-Krise. Vorher, jahrelang, jeden Tag. Jetzt einfach nochmal krasser. Die Menschen, die in der Tankstelle und im Supermarkt arbeiten, die unsere Waren im Lkw, zum Beispiel von Polen nach Deutschland, transportieren. Die Post, DHL, Hermes, DPD. Diejenigen, die Informationen bündeln und erklären. Diejenigen, die solidarische Aktionen pushen, die die Menschen näher zusammenbringen, ohne körperliche Abstandsgebote zu missachten. Es zeigt sich, dass wir diejenigen nicht genug wertschätzen, weder gesellschaftlich noch finanziell.
„…und das ist auch gut so. Die Dinge laufen schon so lange falsch. Es ist gut, wenn nichts so bleibt, wie es war“, sagt mir mein Vater am Telefon. Nur sollen nicht so viele krank werden. Sie sollen gesund werden können und mit uns die Era „nach der Krise“ erleben, sagt er.
Foto von Felix Adler